...alle, die professionell mit der Förderung hochbegabter und leistungsstarker Kinder befasst sind:
Pädagogen und Psychologen, Verantwortliche in Bildungspolitik und -verwaltung sowie Eltern
am Deutschhaus-Gymnasium, Bayern
11/2020
www.deutschhaus.de
Modellklassen am Deutschhaus-Gymnasium Würzburg
Das Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg bietet einen neusprachlichen und einen naturwissenschaftlich-technologischen Zweig - und unterrichtet hochbegabte Schülerinnen und Schüler in separaten Modellklassen. Die Schule ist seit 2017 zudem eines der Kompetenzzentren für Begabtenförderung in Bayern. Yvonne Eisermann, organisatorische Leiterin des Kompetenzzentrums, und Susanne Bach, ebenfalls Lehrerin in den Modellklassen, gewähren der Karg-Stiftung Einblick, wie sich der Unterricht an der Schule in Zeiten von Corona gestaltet - und welche Herausforderungen jenseits der Technik das Lernen in neuen Formaten sonst noch mit sich bringt.
Das Interview führte Reingard Lipp, Ressortleitung Fachmedien der Karg-Stiftung, im Oktober 2020.
Susanne Bach (SB): Zunächst einmal war die Situation natürlich etwas unwirklich. Der Lockdown traf uns zu einer Zeit, in der wir normalerweise mit Volldampf in die Klausurenzeit des zweiten Halbjahres starten.
Yvonne Eisermann (YE): Wir hatten das Glück, dass wir im digitalen Bereich sehr gut aufgestellt sind, da der Unterricht im Normalbetrieb bereits seit mehreren Jahren über digitale Tafeln läuft. Die Schulleitung hat dann aber auch sehr schnell reagiert: Noch am selben Tag schloss sich ein engagiertes Team von Lehrkräften zusammen, das die technischen Voraussetzungen für das Home-Schooling ab der darauffolgenden Woche schuf: Wir konnten sofort unsere dienstliche E-Mail nutzen, um alle Schülerinnen und Schüler und deren Eltern zu kontaktieren. Außerdem stand uns sehr schnell ein digitales Klassenzimmer über die bayerische Lernplattform MEBIS zur Verfügung. Nachdem sich ein sehr langer Lockdown abzeichnete, wurden Kommunikationsplattformen eingerichtet, über die digitaler Videounterricht im Klassenverband möglich wurde.
YE: Je nach Klassenstufe erfolgte eine enge Führung am Stundenplan bis hin zu Wochenarbeitsplänen mit freier Zeiteinteilung. Dabei waren die beiden Klassenleitungen für eine sinnvolle Koordination in ihrer eigenen Klasse verantwortlich. Aufgrund unserer Modellklassenarbeit hatten wir Lehrkräfte bereits eine große Expertise in der Organisation und Durchführung von Selbstlerneinheiten, die wir natürlich nutzen konnten.
SB: Sicher gab es auch Schwierigkeiten: Unterricht ist ja viel mehr als nur reine Wissensvermittlung. Je jünger die Kinder sind, umso wichtiger ist nicht nur für (hoch-)begabte Kinder der echte und direkte Kontakt mit der Lehrkraft, aber auch das soziale Miteinander in der Gruppe. Digitalisierte Kommunikation kann einfach nicht das Vertrauen herstellen, das im direkten Kontakt durch einen kurzen ermunternden Blick oder eine freundliche Geste entstehen kann.
YE: Bei manchen Schülerinnen und Schülern hat die Motivation auch etwas nachgelassen, weil wir in Bayern auf die erbrachten Leistungen während der Corona-Zeit keine Noten geben durften. Für viele unserer begabten Schülerinnen und Schüler ist es aber einfach wichtig, eine Anerkennung ihrer Leistung über die Note zu erfahren.
SB: Nicht ganz klar war auch, wie die technische Versorgung der Kinder und Jugendlichen zu Hause war. Wir haben versucht, all den genannten Schwierigkeiten mit telefonischen Nachfragen, Einzelgesprächen und Feedbacks über die Lernplattform zu begegnen, aber natürlich konnten wir aus der Distanz heraus nicht alle Probleme lösen.
YE: Am DHG existierte bereits ein sehr durchdachtes Konzept, Schülerinnen und Schüler zum selbstgesteuerten Lernen zu führen: Ab der 5. Klasse gibt es Selbstlernzeiten, die in den Modellklassen auf bis zu sechs Wochen in der 10 Klasse ausgeweitet werden. Dennoch hat die Pandemie gezeigt, dass viele begabte Schülerinnen und Schüler im Home-Schooling noch eigenständiger werden und mit ihren Lehrkräften auch Freude an neuen Formaten entdecken.
SB: Ja stimmt, unsere Schülerinnen und Schüler haben wirklich Spaß an der Aufnahme von Sounddateien oder dem Dreh von kleinen Filmchen gehabt. Die Älteren konnten ihre Profilthemen am Ende des Schuljahres per Videokonferenz vorstellen. Das war für die Kinder und Jugendlichen eine echte Herausforderung und wir konnten sie wirklich individuell fördern.
YE: Langfristig haben wir jetzt die Chance, die kooperativen Lernformen digital zu pflegen und zu vertiefen.
SB: Außerdem nutzen wir Lehrerinnen und Lehrer jetzt einfach zügiger die neu gewonnenen Begleitstrukturen, ob per Videokonferenz, Mail oder Telefon – der persönliche Kontakt mit dem Schüler oder der Schülerin ist schnell hergestellt.
YE: Hinter unserer Begabungs- und Begabtenförderung steht das Konzept einer personorientierten Pädagogik, die jeden einzelnen Schüler, jede einzelne Schülerin in den Blick nimmt. Das erfordert den interpersonalen Austausch und Kontakt - impliziert ihn sogar - und macht die Präsenz und die echte Begegnung unersetzlich.
SB: Veränderungen wird es schon geben, denn wir werden die Präsenzphasen durch die bessere Nutzung digitaler Strukturen anreichern können, aber auch die Förderung der personalen Kompetenz ist eben ein wichtiger Bestandteil in unserem Konzept. Prägend sind für unsere Begabten die gemeinsamen Erlebnisse, die sie in der Schule sammeln: Theaterspiel, Projektwochen und Enrichmentangebote lassen unsere Schülerinnen und Schüler zu einer echten Gemeinschaft wachsen und dass wir diese brauchen, ist allen in den letzten Monaten sehr deutlich geworden.
YE: Das soll heißen, wir halten gerade auch nach den Erfahrungen der Schulschließungen in der Begabtenförderung den Präsenzunterricht in seiner ganzen Vielfalt nach wie vor für essentiell. Aber wir haben auch dazu gelernt: Wichtige und dauerhafte Veränderungen ergeben sich dadurch, dass wir begabten und leistungsfähigen Kindern und Jugendlichen in Zukunft ganz selbstverständlich viele zusätzliche digitale Angebote machen werden. Und wir Lehrkräfte werden deutlich ungezwungener als früher über Videoplattformen mit Schülergruppen ins Gespräch kommen und haben so zusätzliche Möglichkeiten gewonnen, Begabungen zu fördern. Ganz sicher werden uns diese positiven Erfahrungen auch durch das nun laufende Schuljahr mittragen.
StRin Yvonne Eisermann, Dipl.-Phys., ist organisatorische Leiterin des Kompetenzzentrums für Begabtenförderung und Projektleiterin der Modellklassen am Deutschhaus-Gymnasium. OStRin Susanne Bach unterrichtet ebenfalls in den Modellklassen der Schule.
Zentrale Idee der Arbeit am Deutschhaus-Gymnasium (DHG) ist die „Pädagogik der Person“. Jede Schülerin und jeder Schüler soll die Möglichkeit erhalten, eigene Stärken und Begabungen zu entdecken und zu entwickeln. Das Kompetenzzentrum für Begabtenförderung am DHG unterstützt andere Gymnasien im Regierungsbezirk Unterfranken in der Förderung besonders Begabter. Ein Team des DHG engagiert sich auch im eVOCATIOn-Weiterbildungsinstitut, das Lehrkräfte in der Begabtenförderung qualifiziert. Das Deutschhaus-Gymnasium ist langjähriger Kooperationspartner der Karg-Stiftung.
Deutschaus-Gymnasium
Kompetenzzentrum für Begabtenförderung
Zeller Straße 41
97082 Würzburg
www.deutschhaus.de
Deutschhaus-Gymnasium: Kompetenzzentrum für Begabtenförderung
Foto: Deutschhaus-Gymnasium
v.l.n.r.: OStRin Susanne Bach, StRin Yvonne Eisermann
Mit unseren Angeboten zur verbesserten Information und Qualifizierung von Kita, Schule und Beratungsstellen bringen wir das Bildungssystem in der Begabtenförderung voran: Karg Campus, Karg Impulskreise, Karg Partner Projekte, Karg Fachmedien.
Unsere Publikationen bieten Grundlagen- und Professionswissen zum Thema Hochbegabung und orientieren in der Begabtenförderung.
Unser Qualifizierungskonzept ermöglicht Kitas, Schulen und Beratungsstellen die Entwicklung in der Begabtenförderung. Die Karg Campus Projekte schaffen in den Bundesländern nachhaltige Angebote und Strukturen zur Förderung Hochbegabter.
Unsere interaktive Fortbildungsmethode orientiert pädagogische und psychologische Fachkräfte im Finden und Fördern Hochbegabter. Wir bilden Moderator:innen aus, die in den landeseigenen Fortbildungssystemen vieler Bundesländer Grundlagenwissen der Begabtenförderung vermitteln.
In Modellprojekten finden wir mit unseren Partnern in Bildungspraxis und -wissenschaft Antworten auf Zukunftsfragen in der Begabtenförderung.
Mit der Karg Wissenschaftsförderung generieren wir Erkenntnisse zu Schlüsselfragen der Begabtenförderung, die bisher für Forschung und Praxis unzureichend erschlossen sind.