...alle, die professionell mit der Förderung hochbegabter und leistungsstarker Kinder befasst sind:
Pädagogen und Psychologen, Verantwortliche in Bildungspolitik und -verwaltung sowie Eltern
Einblick in ein ressourcenorientiertes Angebot für Teenies zur Identitätsfindung
02/2022
Lotus-Gesprächsgruppen am Hoch-begabten-zentrum Rheinland
Wer bin ich? Was kann ich? Und was will ich eigentlich?
Hochbegabte Jugendliche hinterfragen vieles - auch sich selbst und ihre Begabung. Das Programm LOTUS, „Lösungsorientiertes Training zur Unterstützung der Selbstentwicklung“, möchte sie auf der Suche nach Antworten unterstützen.
Dr. Wiebke Evers hat Prof. Dr. Tanja Gabriele Baudson und Nadine Kösters (Psych. M.Sc.) im Januar 2022 nach dem Konzept hinter dem Programm befragt. Frau Baudson ist Professorin für Differentielle Psychologie und psychologische Begabungsforschung an der Hochschule Fresenius in Heidelberg und hat LOTUS in ihrer Zeit am Lehrstuhl für Hochbegabtenforschung und -förderung an der Universtität Trier mitentwickelt und evaluiert (Lotus 2011-2015). Psychologin Nadine Kösters begleitete während ihrer Tätigkeit am Hoch-Begabten-Zentrum Rheinland Jugendliche als LOTUS-Moderatorin.
BAUDSON: Was LOTUS besonders macht, ist, dass es keine klassische Leistungsförderung ist, wie es die meisten Fördermaßnahmen für Hochbegabte sind. LOTUS soll helfen, die eigene Begabung als etwas Positives wahr- und anzunehmen. Manche Jugendliche tun sich nicht so leicht mit ihrer Begabung. Das kann verschiedene Gründe haben, z.B. dass die Begabung etwas Besonderes ist in der Familie. Manche Gruppen, z.B. Mädchen, Jugendliche mit Migrationshintergrund oder auch Twice-Exceptionals, sind besonders herausgefordert, die Hochbegabung auf positive Weise in ihre Identität zu integrieren, weil sie sich eher mit den negativen Stereotypen auseinandersetzen müssen. Auch für Jugendliche, die nicht so viele Hochbegabte in ihrem Umfeld haben, kann LOTUS eine tolle Chance sein, sich mit anderen Hochbegabten zu treffen und auszutauschen.
KÖSTERS: Wichtig ist, dass die Motivation für die Teilnahme von den Jugendlichen selbst ausgeht. Darum ist es wichtig, im Vorfeld mit ihnen zu besprechen, was sie sich vorstellen und erwarten.
BAUDSON: Was in LOTUS passiert, hängt stark von den Jugendlichen selbst ab. Das Konzept sieht vor, dass sie sich eigene Gedanken machen. Es sind verschiedene Übungen, die wir machen, die auch ein bisschen tiefer gehen und eigene Erfahrungen und die Emotionen einbeziehen. Das ist für manche eine echte Herausforderung. Es ist aber erstaunlich, wie gut die Jugendlichen in LOTUS „aneinander klicken“ und zueinander finden.
KÖSTERS: Wie die Jugendlichen die Übungen konkret ausgestalten und welche Themen sie vertiefen – das liegt bei ihnen selbst. Dieser Freiraum bringt aber auch eine Eigenverantwortung mit sich. Und das ist ja auch ein wichtiger Teil des Erwachsenwerdens, dass man selbst gestaltet und entscheidet, wie man die sich bietenden Möglichkeiten nutzt. Das macht LOTUS sicher zu etwas Besonderem.
BAUDSON: Gerade die Offenheit im Programm ist wirklich total wichtig! Es geht nicht darum, bei LOTUS viel richtig zu machen, sondern möglichst viel über sich zu lernen. Das ist für viele eine neue Erfahrung.
KÖSTERS: Natürlich gibt es paar feste Themen, aber eben keinen starren Ablauf. Am besten gehen die Jugendlichen mit Neugier an LOTUS dran und haben den Mut, auch eigene Themen einzubringen.
BAUDSON: Zum einen geschieht dies über die Vermittlung grundlegenden Wissens, z.B. über Konflikte und wie Konflikte funktionieren. In Konflikten ist oft der direkte Weg blockiert, also muss man schauen, wie man das Hindernis umgeht oder überwindet. Entscheidend ist die Haltung, dass jede:r von sich aus Ressourcen mitbringt, um Probleme zu lösen. Es geht also vor allem darum, diese zu aktivieren! Gerade Hochbegabte sind es oft gewöhnt, dass ihnen Dinge gelingen. Wenn etwas aber nicht klappt, sägt das schnell am eigenen Selbstwert. Da kann die Haltung helfen, dass sie schon alles mitbringen, um mit Herausforderung nicht nur kognitiver, sondern auch emotionaler Art umgehen zu können.
KÖSTERS: Wenn die Moderator:innen die Haltung einnehmen, dass eine hohe Begabung etwas Tolles und Wertvolles ist, können sie diese auch den Jugendlichen vermitteln. Manchmal berichten die Jugendlichen von einem gewissen Leidensdruck, der oft durch die Erwartungen von außen oder auch die Konfrontation mit Stereotypen entsteht. Es ist wichtig, dass man als Moderator:in diese Herausforderungen anerkennt, aber dann den Blick auf die Ressourcen und Lösungen lenkt. Das öffnet – möglicherweise auch zum ersten Mal – eine neue Sichtweise auf die Situation.
BAUDSON: Eine häufige Rückmeldung ist, dass die Jugendlichen durch LOTUS erstmals einen Eindruck davon bekommen, wie vielfältig Hochbegabung sein kann. Die unterschiedlichen Geschichten der Teilnehmenden zeigen ihnen, wie wichtig es ist, den einen eigenen Bezug zu Hochbegabung zu finden. Sie schätzen die Gelegenheit, mit anderen besonders begabten Jugendlichen zusammenkommen, und steigen sehr schnell und tief in die Themen ein.
KÖSTERS: Manchen gefallen die theoretischen Inputs am besten, weil ihnen dadurch beispielsweise klar wird, dass Begabung und Leistung nicht dasselbe sind. Das hilft ihnen, eigene Erwartungen, aber auch denen von anderen anders zu begegnen. Manche melden zurück, dass sie an Selbstbewusstsein gewonnen haben. Der Austausch miteinander zeigt ihnen, dass die Begabung ein Teil von ihnen ist, sie sich aber nicht darauf reduzieren lassen müssen. Sie merken, dass sie als Person ganz einzigartig sind und noch viele anderen Eigenschaften mitbringen, die davon unabhängig sind!
KÖSTERS: Die Hygieneauflagen haben die Kontaktaufnahme und den Austausch über persönliche Themen schon erschwert. Gerade wenn es um Emotionen geht, geht durch die Maske einfach viel verloren. Das nimmt natürlich Einfluss auf die Atmosphäre und damit auch auf die Tiefe des Austauschs. Inhaltlich wurde das Thema Corona eigentlich nicht sehr stark von den Jugendlichen eingebracht - was auch interessant ist.
BAUDSON: Allgemein würde die digitale Umsetzung auf jeden Fall eine Chance für hochbegabte Jugendliche sein, die eher ländlich wohnen und schlechter angebunden sind, um an LOTUS teilnehmen zu können. Neben den Herausforderungen ergeben sich digital natürlich auch viele tolle Möglichkeiten. Um diese zu nutzen, müsste man LOTUS vielleicht nochmal neu denken. Konkret gibt es Pläne vom Team an der Ruhr-Uni Bochum, eine digitale Kurzversion von LOTUS bei den Kennenlerntagen der Erstsemester einzusetzen.
BAUDSON: Die Jugendlichen sind toll, so wie sie sind! Aus meiner Sicht ist ganz zentral, dass die Jugendlichen ihre Begabung als etwas Positives annehmen können und dass sie bei Herausforderungen oder Konflikten ihre Begabung immer noch als eine Ressource sehen. Ich hoffe ganz stark, dass die Jugendlichen dies aus LOTUS für sich mitnehmen können.
KÖSTERS: Ich wünsche mir, dass die Jugendlichen mit einem positiven Gefühl und Zuversicht aus LOTUS rausgehen. Hoffentlich konnten sie den Eindruck gewinnen, dass sie Ressourcen haben, die sie nutzen können - wie Freunde, die Familie oder auch ihre eigenen Kompetenzen. So gehen sie hoffentlich optimistisch und auch mit einer gewissen Entspannung aus LOTUS heraus.
Hat das Konzept von LOTUS Ihr Interesse geweckt und Sie wünschen sich weitere Informationen?
Oder haben Sie LOTUS schon eingesetzt und möchten Sie sich mit anderen LOTUS-Moderator:innen austauschen?
Dann melden Sie sich gerne bei Dr. Wiebke Evers!
wiebke.evers@karg-stiftung.de
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