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Dr. Tanja Gabriele Baudson

Hochbegabte im Homeschooling

Datum

2020

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geschlossene Kitas und Schulen - wie geht es Hochbegabten damit?

 

Interview mit Dr. Tanja Gabriele Baudson, Hochbegabungsforscherin (09:21)


Die Mehrzahl der Kinder kann gegenwärtig wegen der Corona-Pandemie nicht wie gewohnt in ihre Kita oder Schule gehen. Das ist für alle Beteiligten – Kinder, Eltern, Lehrkräfte – mit neuen Herausforderungen verbunden. Wir haben bei der Hochbegabungsforscherin Dr. Tanja Gabriele Baudson nachgefragt, welche Auswirkungen das Homeschooling und die neue Lernsituation für hochbegabte Schülerinnen und Schüler haben können.

Das Interview führte Christine Koop, Ressortleitung Beratung der Karg-Stiftung, am 7. April 2020.

  • Die Kindergärten, KiTas und Schulen sind nun schon länger geschlossen - wie geht es den Hochbegabten damit? (0:07)
  • Was bedeutet die neue Lern- und Unterrichtssituation speziell für Hochbegabte? (1:39)
  • Inwieweit leiden Hochbegabte unter den fehlenden Sozialkontakten? (04:19)
  • Wie genau zeigt sich soziale Ungleichheit in den Familien Hochbegabter derzeit praktisch? (05:23)
  • Was können Eltern tun, wenn ihr hochbegabtes Kind durch die Situation sehr belastet ist? (06:15)

 

Die Kindergärten, KiTas und Schulen sind nun schon länger geschlossen - wie geht es den Hochbegabten damit? (00:07)

Die Schule hat ja ganz unterschiedliche Funktionen - für alle Kinder und Jugendlichen: zum einen dort etwas zu lernen, zum anderen aber auch auf Gleichaltrige zu treffen, mit den Lehrkräften zusammen zu kommen und nicht zuletzt auch die strukturierende Funktion. Die Schule, die gibt dem Tag Struktur und Ordnung und das ist ja etwas, was jetzt gerade in vielen Familien sehr stark wegbricht - also wo sich alle neu organisieren müssen, wo das Homeoffice organisiert werden muss, vielleicht teilweise noch die Pflege von erkrankten Angehörigen und so weiter. Verallgemeinerungen sind also schwierig.

Das Ehrlichste wäre wahrscheinlich zu sagen: „Es kommt darauf an“. Und es kommt wahrscheinlich am stärksten darauf an, wie es dem Kind sonst in der Schule geht. Also Kinder, die gut gefördert werden, die Freunde haben und diese dann auch vermissen, Kinder, die eher extrovertiert sind und den sozialen Kontakt auch brauchen, die werden wahrscheinlich unter der aktuellen Situation stärker leiden, wenn dann nicht entsprechend zu Hause die Möglichkeiten da sind, als diejenigen, die unterfordert sind, die vielleicht sogar gemobbt werden in ihrer Klasse – was jetzt kein hochbegabtentypisches Phänomen ist. Aber denen wird es vielleicht sogar ganz gut tun, auch mal eine Zeit lang zu Hause zu sein und mehr Freiheiten zu erfahren. Es sei denn, der aktuelle Stress zu Hause ist noch größer als der Stress, den die Kinder und Jugendlichen normalerweise in der Schule erfahren. Das ist dann wirklich ein Problem für alle Beteiligten.


Was bedeutet die neue Lern- und Unterrichtssituation speziell für Hochbegabte? (01:39)

Die wenigsten Eltern sind ja in der Lage, eine Lehrkraft eins zu eins zu ersetzen. Lehrkräfte sind Fachkräfte. Die bringen fachliche Expertise mit und sie bringen didaktische Expertise mit. Es wäre illusorisch zu behaupten, dass Eltern das einfach so aus dem Stand leisten könnten. Hinzukommt auch, dass es für viele Eltern und Erziehungsberechtigten ein großes Zeitproblem ist, also ein ganz simples Problem: Man hat auch Anderes zu tun und kann nicht den ganzen Tag das Kind betreuen und unterrichten.

Der Unterricht ist häufig auch gar nicht so gut auf die Bedürfnisse der Hochbegabten ausgerichtet. Es gibt zwar viele Begabungsförderprogramme, wir haben die Inklusion und Versuche, allen Leistungsniveaus gerecht zu werden. Aber faktisch ist es so, dass die Hochbegabten auch in der Inklusion häufig noch hinten überfallen und viele Lehrkräfte auch zu wenig Kenntnisse mitbringen, wie sie speziell besondere Begabungen fördern sollen.

Wie gut die Hochbegabten mit der neuen Lernsituation zurecht kommen, hängt auch davon ab, was die Lehrkraft verlangt und wie sie den Unterricht gestaltet. Wenn größere Freiheiten bestehen, kann das den Hochbegabten sogar entgegenkommen. Also wenn das Lernziel zum Beispiel definiert ist und klar ist, dass sie am Ende das und das können müssen, sind viele Wiederholungen, die im Schulalltag den Unterricht prägen, gar nicht mehr erforderlich. Und die Hochbegabten sind dann unter Umständen sogar schneller fertig und haben dann mehr Zeit, um Dinge zu tun, die sie außerdem noch interessieren. Wenn viele Wiederholungen gemacht werden müssen, viele gleichförmige Aufgaben, wenn Lehrkräfte dann den Stoff noch mal rekapitulieren bis wirklich alle ihn verstanden haben, dann ist das für die Hochbegabten auch nicht angenehmer als im regulären Unterricht.

Hinzu kommt außerdem, dass die technischen Voraussetzungen sehr unterschiedlich sind. Das zeigt sich ja auch jetzt mehr und mehr, dass die Digitalisierung soweit noch nicht ist, wie wir das gerne hätten. In vielen Familien gibt es keine vernünftigen Internetverbindungen oder genügend Endgeräte, dass jeder gleichzeitig arbeiten kann und lernen und so weiter. Drucker fehlen, sodass Lehrkräfte zum Beispiel die Zettel dann doch wieder austeilen und in die Briefkästen werfen. Also auch diese infrastrukturellen Elemente muss man dabei berücksichtigen.

Speziell für die Hochbegabten stellt sich jetzt auch noch das Problem, dass die ganzen Förderprogramme auch nicht stattfinden. Die sind ja sonst ein Korrektiv zum regulären Unterricht, wo sie dann gefordert sind und auch Aufgaben bekommen. Und was wegfällt, sind ja nicht nur die Aufgaben, sondern auch der Kontakt mit anderen Hochbegabten.


Inwieweit leiden hochbegabte unter den fehlenden Sozialkontakten? (04:19)

Auch hier kann man sagen - es kommt darauf an. Per se sind Hochbegabte ja auch nicht introvertierter als durchschnittlich Begabte - auch keine ausgeprägten Einzelgänger, auch wenn das Klischee wahrscheinlich nicht tot zu kriegen ist. Die introvertierten Hochbegabten und diejenigen, die sich gut mit sich selbst beschäftigen können, haben es wahrscheinlich leichter. Und auch diejenigen, die vielleicht von Klassenkameradinnen und Klassenkameraden gemobbt werden, für die ist es wahrscheinlich auch eine Erleichterung, zu Hause sein zu dürfen.

Was bei den fehlenden Sozialkontakten auch noch mit hineinspielt, ist, dass auch die Betreuung wegfällt. Diejenigen, die „systemrelevant beschäftigt“ sind, wie man jetzt so schön feststellt, müssen ja weiterhin raus. Und auch wenn die Eltern im Homeoffice sind, heißt das ja nicht, dass sie Zeit haben ohne Ende, um sich permanent um die Kinder zu kümmern. Auch dieses Problem muss man wieder unter der Perspektive der sozialen Gerechtigkeit betrachten.


Wie genau zeigt sich soziale Ungleichheit in den Familien Hochbegabter derzeit praktisch? (05:23)

Nicht alle Familien haben ja die gleichen Möglichkeiten, ihre Kinder optimal zu fördern. Manche haben viele Bücher, die können sich Kunstmaterialien leisten, haben leistungsstarkes Internet, auch mobile Endgeräte für jeden, haben vielleicht einen Garten, die Kinder haben ein eigenes Zimmer und all das – das ist nicht für alle Familien selbstverständlich.

Schule und außerschulische Förderinstitutionen sind gerade für diejenigen, die weniger privilegiert sind, ein wichtiges Korrektiv. Und insofern, wenn gerade jetzt für diese Gruppe die Förderung wegfällt, werden dadurch wahrscheinlich eher diejenigen profitieren, die von zu Hause aus sowieso schon besser gefördert werden. Und diejenigen Hochbegabten, die zu Hause eben nicht dieselben Möglichkeiten haben, werden eher darunter leiden.

Was können Eltern tun, wenn ihr hochbegabtes Kind durch die Situation sehr belastet ist? (06:15)

Aktuell erfahren wir alle ziemliche Verunsicherungen und auch in gewisser Weise Kontrollverlust. Das geht uns Erwachsenen nicht anders als den Kindern auch. Eltern haben eine ganze Reihe von Aufgaben, die sie aktuell bewältigen müssen.

Zum einen, denke ich, das Wichtigste ist, dass sie dem Kind Sicherheit vermitteln. Gerade in der aktuellen Situation der Verunsicherung brauchen Kinder, und zwar jüngere Kinder umso mehr, das Gefühl, dass die Eltern bei ihnen sind und dass sie sich darauf verlassen müssen und dass es doch noch gewisse feste Komponenten gibt. Das, was aktuell passiert, die Verunsicherung, hat für viele Kinder eine existenzielle Dimension.

Zum zweiten ist es die Aufgabe von Eltern, auch ein Stück weit Selbstwirksamkeit zu vermitteln. Selbstwirksamkeit bedeutet, dass man was tun kann, um an der aktuellen Situation etwas zu verändern. Also dass man dem Kind zum Beispiel zeigen kann, wie es sich selber schützen kann und dass es dem Ganzen nicht hilflos ausgeliefert ist.

Drittens und damit einhergehend ist Informationsvermittlung wichtig. Hochbegabte Kinder haben ein sehr leistungsstarkes Gehirn und können Informationen auch gut verarbeiten. Das heißt eben auch, dass man da mit sachlichen Informationen relativ viel „reißen“ kann. Das bedeutet nicht automatisch, dass sie diese Information auch emotional verarbeiten können. Aber wenn man versteht, wie bestimmte Dinge funktionieren, wie Ansteckung läuft, was wir wissen über das Virus und seine Verbreitung - das kann auch schon  helfen, damit besser zurecht zu kommen. Und das kann man so ganz nebenbei auch noch nutzen, um zu differenzieren zwischen verschiedenen Informationsquellen. Was sind verlässliche Quellen, auf die ich mich berufen sollte? Und warum sollte ich mich vielleicht auf Gerüchte im Internet oder Fake News nicht verlassen?

Wichtig ist, wie eben gesagt, dass man auch die emotionale Komponente berücksichtigen muss. Nur weil Hochbegabte vom Kopf her verstehen, wie Dinge funktionieren, heißt das noch lange nicht, dass sie es auch emotional verarbeiten können - und da brauchen Sie ihre Eltern und Bezugspersonen, die Ihnen dabei helfen. Eltern sollten daher für ihre Kinder ein offenes Ohr haben und ihnen ruhig auch signalisieren, dass es ganz normal ist, in der aktuellen Situation verunsichert zu sein. So eine Pandemie hat man ja nicht alle Tage.

Wenn Eltern gestresst sind, sind die Kinder in der Regel auch gestresst. Insofern möchte ich allen Eltern auch ans Herz legen, auf sich selbst aufzupassen. Regulieren Sie Ihren eigenen Stress, passen Sie auf sich auf und lassen Sie ruhig auch mal „fünfe gerade sein“. Wenn es Ihnen gut geht, macht das allen Beteiligten das Leben leicht. Es ist gerade schon schwer genug.

Und wenn wir alle zusammenhalten, überstehen wir das auch. Ich denke, Solidarität ist etwas, das brauchen wir gerade – vermitteln Sie das ihren Kindern!

 

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